Alt ist neu: Gedanken zur Strassenfotografie

Die Neuerfindung der Strassenfotografie im Zeitalter der Digitalkamera und Web 2 bis 3

Dimensionen eines Begriffes

Die Strassenphotographie oder Strassenfotografie oder Straßenfotografie oder Streetfotografie oder Streetphotography – wie sie auch immer heissen mag – , ist die bekannteste Form der Schnappschussfotografie. Sie ist eine Untermenge der Dokumentarfotografie.

Geschichte

Nicht umsonst heisst ein Buch auch „Der Schnappschuss und sein Meister“ und beschreibt Leben und Werk von Henri Cartier-Bresson.

Cartier-Bresson wurde berühmt, weil er u.a. folgende Merkmale hatte:

  • er war oft an den Brennpunkten des Weltgeschehens,
  • er fotografierte immer das, was andere nicht fotografierten,
  • er benutzte das Kleinbildformat und legte sich dabei auf die Leica fest und
  • er gestaltete seine Fotos nach der Geometrie der Malerei.

Was nun die Leica angeht, so wird er immer mit der Leica M in Verbindung gebracht. Dies stimmt nur bedingt. Es beruht darauf, dass er das Kleinbildformat als Bildgrösse am liebsten hatte, weil es auch seiner Art zu sehen entsprach. Denn Cartier-Bresson hatte u.a. Malerei studiert.

Aber als es die Minilux gab, die auch das Kleinbildformat nutzte, benutzte er die Minilux. Seitdem streitet die Gemeinde, ob er die Minilux gebraucht hat, weil er schon älter war oder weil sie bequemer und schneller war. Dabei geht es natürlich auch um die Frage der Messsuchertechnik. Gegen das Argument des Alters und der Messsuchertechnik spricht, dass er in dem Buch „Faceless“, welches ihn selbst auf Fotos zeigt, die Minilux zum Fotografieren nutzte. Die Minilux hatte keinen Messsucher.

Cartier-Bresson spielt bei der Frage der Strassenfotografie also eine Rolle. Da ich Cartier-Bresson sehr mag, habe ich mich mit seinem Werk sehr befasst. Mir haben dabei einige Filme weitergeholfen, in denen er demonstrierte, wie er seine Schnappschüsse erstellte.

Gegenwart

Diese Zeilen schreibe ich aber, weil mir mittlerweile aufgefallen ist, dass die Strassenfotografie von heute sich völlig anders darstellt.

Merkmale von Cartier-Bresson waren

  • Diskretion,
  • keine entlarvenden oder verletzenden „unschönen“ Fotos und
  • künstlerischer Aufbau (Geometrie).

Wer heute durch youtube und andere Videoportale streift, der sieht, dass dort einige Filme zu diesem Thema zu finden sind.

Mir fällt dabei auf, dass dort von den Merkmalen eines Cartier-Bresson wenig bis nichts zu finden ist. Die meisten benutzen zwar noch eine Leica, aber der Rest ist eher eine Art Versuch, Fotos um jeden Preis auf der Strasse zu schiessen.

Abgesehen von den ganzen juristischen Problemen bei dem Fotografieren von Personen, ist die Diskretion dabei verschwunden. Elliott Erwitt hat mal davon gesprochen, dass die Situationen dich „beissen“ – d.h. sie kommen zu dir. Dies fehlt heute vielfach fast völlig, wenn man sich anschaut, was da als Strassenfotografie veröffentlicht wird.

Und heute?

Aber man muß natürlich im Zeitalter der Digitalkamera auch darüber sprechen, welche Kameras sinnvoll sind.

Orientiert man sich an Cartier-Bresson, dann ist es das Kleinbildformat.

Dies würde bedeuten, dass man eine EOS 5D bzw. Mark 2, eine Nikon D700 oder D3s, eine Leica M9 oder eine ähnliche Kamera nehmen würde.

In meinen Augen ist das Kleinbildformat für Strassenfotografie durch die MFT-Sensoren und die APS-C Sensoren mehr als gut abgelöst worden, weil es mittlerweile genügend hochwertige und lichtstarke Objektive gibt, die ebenso gute Ergebnisse erzielen.

Orientiert man sich an der Diskretion, dann wäre es heute eine Digitalkamera mit kaum hörbarem oder komplett abschaltbarem Auslösegeräusch.

Orientiert man sich an der Schnappschussfähigkeit, dann können es nur Digitalkameras sein, die einen echten Schnappschussmodus haben.

Aber selbst darüber kann man geteilter Meinung sein. Die Fotos von Cartier-Bresson sind ja nicht im superschnellen Schnappschussmodus gemacht worden, weil es den da noch nicht gab.

Ist ein schneller Autofokus eine gute Schnappschussfähigkeit? Mitnichten.

Ein guter Schnappschuss ist ein geometrisch gestaltetes Fotos, welches eine Situation erfasst. Damit ist der schnelle Autofokus eine vielleicht wünschbare technische Eigenschaft, aber allein keinesfalls wesentlich für den Schnappschuss.

Orientiert man sich an der Art der Darstellung des Suchers, dann wird oft diskutiert, ob der Sucher oder ein Display besser ist. Nachdem ich in der Vergangenheit eher dem Display zugeneigt war, haben mich nun einige Jahre Erfahrung wieder zum grossen optischen Sucher zurückgebracht.

Die Displays sind weder technisch in der Lage, bei allen Lichtverhältnissen optimal zu sein, noch sind sie unauffällig.

Ein guter optischer Sucher ist eine sichere und fotografisch praktische und gute Lösung. Daher sollte ein Sucher in keiner guten Digitalkamera fehlen.

Die Grössenverhältnisse einiger Kameras aus diesem Orientierungsraum sind sicherlich auch interessant: Leica M6 – 77x138x38 – 560g ohne Objektiv, Canon EOS 5D – 152x113x75 – 810g ohne Objektiv, Nikon D700 – 147x123x77 – 955 ohne Objektiv, Ricoh GX200 – 58x112x25 – 210g mit Objektiv.

Wobei mir Grösse ein unzureichendes Argument zu sein scheint. So ist z.B. die digitale Lumix DMC-L1, auch bekannt als Leica Digilux 3, eine Kamera, die etwas größer ist und ein dickeres Objektiv hat. Ja natürlich ist dies so, weil die Lumix ein erstklassiges Leica-Zoomobjektiv hat, während an der M8.2 eine Festbrennweite ist. Diese sind immer viel kleiner. Wäre an der M9 ein Zoomobjektiv wie das Tri-Elmar, wäre sie ebenfalls viel größer.

Dennoch sind natürlich die praktischsten Kameras die kleinen Digitalkameras.

Im Prinzip ist es so: kleine Kamera mit einem guten eingebauten (optischen?) Sucher und großem lichtstarkem Chip sowie lichtstarker Optik, geräuschlos und gut zu halten und relativ schnell mit Raw.

Fazit

Aber dies alles ist natürlich Geschmackssache. Fest steht auch, dass die Strassenfotografie im digitalen Zeitalter neue Möglichkeiten bietet.

Nicht alles, was früher war, ist schlecht und nicht alles, was heute ist, ist gut. Insofern sollte man durch Abwägen die Strassenfotografie von heute neu kombinieren und gestalten.

Ich plädiere aktuell für die Geometrie eines Cartier-Bresson mit der Technik einer Ricoh und dem Sucher einer Fuji und es muß kein Vollformat sein.

Hinzu kommt damit auch abschließend die Chance, Strassenfotografie weiter zu demokratisieren.

Die Zeit des Ruhmes eines Cartier-Bresson ist für Schnappschussfotografen vorbei. Damit Geld verdienen zu wollen, ist ebenso schwierig. Aber jetzt kann man für kleines Geld viele gute Fotos machen und diese fast kostenlos im Internet verbreiten.

Das Problem im Internet ist nur, dass die Masse an digitalen Inhalten gar nicht mehr überschaubar ist. Doch das ist wiederum nicht von der Strassenfotografie zu lösen. Immerhin kommt so die Strasse ins Internet und zugleich das Internet auf die Strasse….

Na ja, wie auch immer.

Dieser Artikel ist schon vor Jahren geschrieben worden. Bis auf die neuen Kameras mußte ich am Inhalt nichts ändern, weil der Mensch und seine Sehtechnik gleich geblieben sind. Das ist dann der Unterschied zwischen Magazinartikel und tagesaktuellem Zeitungsartikel und dies dann auch noch online.

Abschließen möchte ich mit einem Hinweis auf das Foto. Es zeigt einen sympathischen Herrn, der ein guter Bekannter von mir ist. Er benutzt eine schon ziemlich alte kleine Canon Digitalkamera. Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass die Kamera ein Gummi hat. Da an dem eingebauten Blitz die Feststellung kaputt ist, wird dies mit einem Gummi erledigt.

Der ältere Herr fotografiert leidenschaftlich gern mit dieser Kamera (und ihrem kleinen optischen Sucher), die ansonsten fast unkaputtbar erscheint und denkt vorläufig gar nicht daran, sich eine neue Kamera zu kaufen. Und er benutzt parallel als analoge Kamera eine Leica, aber keine M sondern eine Minilux. Soweit zum Thema Straßenfotografie in der Praxis und der Relativität der eigenen Ansichten.

Ich hoffe, Sie hatten Spass beim Lesen und haben anregende Gedanken erhalten.

7 thoughts on “Alt ist neu: Gedanken zur Strassenfotografie

  1. „Vorsicht vor Leuten!“

    Ich fotografiere ebenfalls gerne auf der Straße bzw. im Vorbeigehen — ergeben sich doch manchmal die unglaublichsten Szenen. Dementsprechend bin ich immer auf der Suche nach der optimalen „immer-dabei-Kamera“.
    Bis es diese in Perfektion gibt, nehme ich eine meiner 3 grundverschiedenen Kameras und versuche den Einsatzschwerpunkt vorauszuahnen. Wobei es sich lohnt, mit den Kamera zu verwachsen, soll heißen, dass man diese flink und „blind“ bedienen kann, um auch mal ein Foto aus der Hüfte zu schießen zu können, das alle Bildelemente aufweist, auf die man es abgesehen hatte.

    Ein Riesenthema, das hier auch kurz angerissen wird, ist auf alle Fälle der juristische Seite der Straßenfotografie: Was darf ich, was darf ich nicht, wen muss ich fragen etc.
    Ein Aspekt, der einem die Straßenfotografie fast schon vermiest.
    So ist es zum Bespiel nicht erlaubt, ohne Genehmigung im Bahnhof zu fotografieren, obwohl sich dort oft die spannendsten Szenen ergeben. Ein schnell geknipstes Touristenfoto fällt sicher nicht ins Gewicht, doch systematisches Belauern von lohnenswerten Ereignissen unter Einbeziehung der Bahnhofsinfrastruktur muss angemeldet werden.

    Ich kenne auch noch Zeiten, in denen es die Menschen klaglos hingenommen haben, wenn man sie fotografiert hat. Paradoxerweise beharren die Leute heute viel stärker auf Ihren Persönlichkeitsrechten und das, obwohl 99,9999% der gemachten Aufnahmen im „medialen Grundrauschen“ verloren gehen, sprich angesichts der Milliarden Fotos und Videos, die täglich gemacht werden ohnehin nicht beachtet werden.

    Ich habe zuletzt heuer im Sommer in einer fremden Stadt eine wunderbares Motiv im Vorbeigehen fotografiert, das förmlich nach Veröffentlichung schreit, weiß aber nicht wie ich an die abgelichtete Person herankomme.
    So sammelt sich schnell eine Berg unvollendeter Projekte an, die man im stillen Kämmerchen immer wieder umwälzt und zu keinem Abschluss kommt.
    Wie gesagt, das ist ein Moment der Straßenfotografie,das mir zu schaffen macht.

    1. Ja das stimmt, ich habe auch noch Fotos, die es wirklich wert wären, visuelles Vergnügen zu bereiten. Wären Sie in anderen Teilen der Welt aufgenommen, dann wäre es kein Problem. Ich möchte daher noch mal auf diesen Artikel hinweisen zu dem Thema Straßenfotografie und das Recht am eigenen Bild http://dokumentarfotografie.de/?p=747

  2. Hallo Michael,

    du schreibst „Wären Sie in anderen Teilen der Welt aufgenommen, dann wäre es kein Problem.“ Kannst du das noch etwas näher erläutern? In welchen Ländern oder Teilen der Welt (außer in Deutschland) ist die Sache problematisch und in welchen kein Problem? Ist es also wirklich eine Sache des jeweiligen Landes, ob deren Bürger oder dort weilenden Ausländer in ihren Personenrechten geschützt sind oder nicht? Interessantes Thema über das ich gerne noch etwas genauer Bescheid wüsste.

    1. Hallo Michael, hier ist der Michael. Ich freue mich über die Frage und wundere mich, dass du der einzige bist mit einem Gefühl für dieses Problem. Schau dir viele Profifotografen an. Sie publizieren Bilder aus Asien oder Afrika oder auch Indien. Frag einfach mal an, ob da die Zustimmung eingeholt wurde. Zudem tauchen auch bei Wettbewerben solche Fotos auf. Es ist tatsächlich so, dass jedes Land die Grenzen und Rechte selbst festlegt. Damit ist aber das Problem nicht gelöst sondern nur beschrieben. Denn das Internet gibt es überall, wenn nicht Technikmangel oder Zensur vorherrschen. Ich kenne einige Fotografen, die einfach ihre Fotos machen ohne zu fragen, diese ausstellen und die darauf spekulieren, dass dies sowieso keiner merkt. Das ist ja auch oft so. Und selbst wenn es Verletzungen am Persönlichkeitsrecht geben sollte nach deutschem Maasstab, dann ist immer noch kein Anwalt beauftragt, der sich dann über Grenzen h inweg darum kümmert. Denn das kostet Geld. Insofern ist dieses Them im Inland sehr viel problematischer als Fotos aus dem Ausland im Inland zu zeigen. Soweit mein kurzer gedanklicher Themanriss ohne Gewähr.

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